N°1 Der Freund

Schon immer. Lange bevor da irgendetwas gewesen wäre, an das der Buddli sich hätte entsinnen können. Lange bevor der Buddli seinen Namen kannte. Schon immer strich er die Finger durch Buddlis Haare und streichelte seine Wangen.

In seinem Wald, von nervigen Blättern, felligen Tieren und fetten Schatten überfüllt, blieb dem Buddli nicht ein Zentimeter. Ständig war der Buddli auf der Flucht. Erstickte. Er aber raunte dem Buddli in die Ohren. Die gefallenen Blätter begannen zu tanzen, bildeten Girlanden. Säuselten ihm Vertrauen zu. Diese Kraft, die Flügel verleiht und träumen lässt. Vom Schlimmsten. Vom Schönsten.

Einerlei, ob die Ahornblätter erzittern oder der Tannenbaumstamm knarrt. Der Wind ist dein Freund, der verhindert, dass du einsinkst oder erstarrst. Im Dachgebälk, zwischen den Mauern der Häuser, oben auf dem Hügel oder in der Gabelung eines Baumes bleckt der Wind als Pfeifen, Surren und Sausen ein unermessliches Insekt.

Den Bäumen in der Lichtung entlarvt er ihre schülerhafte Haltung. Das ist ein Ahorn. Das ist eine Buche. Das sind Laubbäume. Der Stamm hält die Äste. Nicht von Brise ist hier die Rede, noch von diesem Lüftchen, in dem die Zweige schaukeln und ein Ast schwankt von Zeit zu Zeit. Wind heisst Wind, reimt mit Kind, Engel und Untier!

Den du für Wald hieltest, nimmt dir, von überall und nirgendwo entsendet, der Wind. Er entfaltet eine Decke, die jedem Baum seine Grenzen entwendet. Ein Ast schwingt seine Zweige und Blätter nach oben, der Ast über ihm übernimmt den Schwung, übergibt ihn seinem Nachbar darüber, der darüber überbringt, als sei er der Urheber, die Geste seinem Nachbarn darüber. Es wird, als hätten sie es abgesprochen, ein Tanz vom Zaun gebrochen, ein Tanz, der den Ästen ihr Gewicht abnimmt, ein jeder schwillt auf, schwillt wieder ab, erhebt sich dagegen, fällt ab in den stetig aufsteigenden Regen, schaltet sich verschoben in die wallende Welle.

Die Bäume verschollen! Scharf rüttelt, rührt und peitscht der Wind. Schafft ein rauhes Gewebe.  Die vormals Stämme waren, die halten das Gewebe in die Schwebe. Mehr schlecht als recht, denn sie schwanken schon selber hin und her, diese armen Teufel. Viel lieber als tanzen verharren sie im Schweigen. Nun sind sie in den Reigen, den sie nicht kennen, gezwungen. Behäbig ihre Gesten und doch vollkommen gelungen. Diese tüchtigen Kerle, sonst so stramm und steif, scheren aus zum Tanz, dem Wind zu Ehren. Deinem Freund: Im röchelnden pfeifenden Zweivierteltakt, den Buddlis Atem Zug um Zug seinen verschleimten Bronchien entlockt, diesen seltsamen Amphibien, die der Arzt mitten in seine Brust gepflanzt hat, verliert der Buddli die Hoffnung und schöpft Hoffnung, der Wind blase den ganzen Wald um, fege fort die schwere Decke, die dicken Mauern, die grosse Türe, mache auf alles weit weit auf, öffne den Raum, in dem der Buddli endlich tief im Boden steht, sich endlich bewegt, wie ein Baum besoffen, dem grossen Hauch offen.